70  Jahre  elektrischer Betrieb
 
 
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Berliner Zeitung vom 1. Mai 1951:
Seitenende
Die Eichwalder umarmten Präsident Barth
Seit Montag fährt die S-Bahn bis Königs Wusterhausen  /   20 Minuten-Verkehr nach Bernau
Plantermin der  Reichsbahndirektion Berlin: 
1. Mai Grünau - Königs Wusterhausen elektrisch 

Am Sonntag, dem 29. April, 13 Uhr, sind die letzten Gleise der Strecke eingeschwenkt, die Elektrifizierung beendet. Um 17 Uhr fährt der Probezug. Die Eisenbahner nennen ihn den Jubelzug, denn die gesamte Strecke ist von winkenden Menschen eingesäumt. Aus den Fenstern werden Fahnen geschwenkt. Um 21 Uhr fährt ein elektrischer Sonderzug mit den Aktivisten der volkseigenen Rundfunk- und Fernmeldetechnik, den Arbeitsbrigaden der Eisenbahner, Generaldirektor der Reichsbahn, Kramer, Präsident der Reichsbahndirektion Berlin, Barth, und seinem Vertreter Freytag, den Leiter der S-Bahn Berlin, Kittlaus, und Pressevertretern.  Mit 70-km-Tempo jagt der Zug nach Eichwalde. An der neuen Stromschiene sprüht ein wahres Feuerwerk, das die Umgebung taghell erleuchtet. 
Obwohl es sich nur um eine technische Probefahrt handelt, die nicht angekündigt war, warten Tausende auf den Bahnhöfen. Nicht enden wollende Hochrufe begrüßen den Zug in Eichwalde. Die FDJ schwenkt Fackeln. Als Präsident Barth aus dem ersten Wagen tritt, umarmen ihn einige Eichwalder Bürger. Der FDJ-Vertreter will eine Rede halten: "Die Werktätigen freuen sich ... Seit 25 Jahren warten wir auf diesen S-Bahn-Zug ..." Das andere geht in dem allgemeinen Tumult unter. "Wissen Sie, was das hier bedeutet", schreit Rudi Faehse aus Eichwalde seinem Nachbarn zu, "das bedeutet in 35 Minuten zum Alex." In Zeuthen, Wildau, Königs Wusterhausen ähnliche Szenen.
"Mit der S-Bahn gehören wir nun auch zu Groß-Berlin", meint der Fahrkartenknipser in Königs Wusterhausen.

"Als ich vor dreißig Jahren mein Grundstück kaufte, versicherte mir der Makler, in Kürze würde die S-Bahn gehen", erzählt Alfred Müller, Besitzer einer Autoreparaturwerkstätte in Zeuthen. "Dann wollten sie 1928 die Strecke elektrifizieren", fügte er hinzu. "Aber den Weimarern ging das Geld aus und auch die Nazis haben es nicht geschafft, weil sie alles in die Rüstung steckten. Und jetzt nach diesem Zusammenbruch, wo es uns noch an so vielem fehlt, gelingt das Unternehmen. Das ist ganz groß! 
Ja, Herr Müller hat recht. Unter schwierigsten Umständen haben wir diesen Erfolg errungen, weil es gelang, die Eisenbahner und die Arbeiter der volkseigenen Werke für diese Sache zu mobilisieren. Wenn wir das auf allen Gebieten tun, werden wir noch ganz andere Siege erringen, als es in diesem Einzelfall geschah. Die mobilisierte Arbeitskraft unserer Werktätigen wird das Ziel unseres Fünfjahrplans erreichen: einen Lebensstandard, den das deutsche Volk bisher noch nie kannte. Auch mit dem Bau der Strecke Königs Wusterhausen - Berlin kommen wir diesem Ziel des Fünfjahrplans näher. 
Präsident Barth erklärte auf der Sonderfahrt: "Ohne die Initiative der Presse würde die S-Bahn nach Königs Wusterhausen heute noch nicht fahren. Dieser Erfolg ist ein Musterbeispiel guter Zusammenarbeit zwischen Presse, Verwaltung und volkseigener Industrie." 
Eine Woche vor der Oktoberwahl fand in Eichwalde eine überfüllte Leserversammlung der "BZ" statt. Das Hauptthema des Abends waren die schlechten Verkehrsverhältnisse dieser Vorortstrecke. Wir versprachen damals unseren Lesern, die RBD Berlin nachdrücklich an Ihre Elektrifizierungs-termine zu erinnern. 

Als wir die Büros der Bauleitung der RBD betraten, schallte uns "RIAS"- Tanzmusik entgegen. Der Bauleiter hatte für unser Anliegen nur ein Achselzucken.  Wichtige Teile der Stellwerke seien im Westen bestellt, aber kämen nicht. Dasselbe Achselzucken im damaligen Industrieministerium. Nein, die Profileisen für die Schalthebel würden in der DDR nicht hergestellt.
Es sah so aus, als müsse man "KW"  vertagen. Es soll nicht verschwiegen werden, daß es erst dem ,,BZ"-Redakteur Horst Neugebauer gelang, durch direkte, unbürokratische Verhandlung mit dem Stahlwerk Hennigsdorf, dort eine Produktionsmöglichkeit für das Profileisen zu finden. Aber wir wollen nicht an alten Arger erinnern, heute ist ein Tag der Freude und des Sieges. Tatsache ist, daß die Leitung der RBD nicht einschnappte, als wir unsere Kritik in der "BZ" veröffentlichten, wie so manche andere Verwaltung, sondern uns sofort einlud und in gemeinsamen Sitzungen mit den beteiligten volkseigenen Lieferwerken einen neuen Terminplan aufstellte, der von allen Teilen vorfristig erfüllt wurde.

So kam es dazu,daß seit Montag früh 3 Uhr elektrische S-Bahn-Züge von Königs Wusterhausen nach Berlin fahren. Die Züge verkehren auf der 52 km langen Strecke Königs Wusterhausen - Spandau in 20-Minuten-Abständen. Statt bisher 24 Dampfzüge fahren jetzt 65 elektrische Züge pro Tag. Der letzte Zug fährt von Grünau nach Königs Wusterhausen um 1.03 und schon kurz nach 3 Uhr fährt wieder der erste Zug für den Berufsverkehr. Nur etwa zwei Stunden ruht der Verkehr auf dieser Strecke in der Nacht. 

Großartig die Stimmung der Werktätigen am Montagmorgen auf allen Bahnhöfen. Strahlend sitzen sie in den bequemen  S-Bahn-Wagen, wo sie bisher in den dunklen Dampfzügen dicht gedrängt standen. 
Als wir in der elektrischen S-Bahn nach Königs Wusterhausen fuhren dachten wir an Nauen und fragten Generaldirektor Kramer. Er dachte nicht nur an Nauen, sondern auch an Fürstenwalde. "Wir werden alle Vorortstrecken elektrifizieren. Termine nennen wir noch nicht; sie hängen davon ab, wie weit wir in diesem Jahr mit dem Fünfjahrplan kommen." 
Die Reichsbahndirektion Berlin eröffnet am 1. Mai das Teilstück Rummelsburg - Karlshorst der Strecke Erkner zweigleisig, das terminmäßig erst am 20. Mai fertig sein sollte und bei Veranstaltungen in Karlshorst einen 5-Minuten-Verkehr zuläßt. Auch die Strecke Zepernick wird ab 1. Mai wieder zweigleisig befahren, so daß ab heute der Verkehr nach Bernau vom 40-Minuten- Verkehr auf 20-Minuten-Verkehr umgestellt wird.
Das sind wirklich Maigeschenke, für die die Berliner der Reichsbahn dankbar sind. Die Bürger von Königs Wusterhausen, Wildau, Zeuthen, Eichwalde und Grünau werden den 1. Mai auf ihren Bahnhöfen feiern, wo Verkehrsminister Prof. Dr. Reingruber aus einem festlich geschmückten S-Bahn-Zug die Ansprachen halten wird.
Es lebe der 1. Mai - der Tag, an dem die Werktätigen ihre Siege feiern. Es lebe die Initiative der Eisenbahner-Brigaden und Aktivisten von RFT, die die S-Bahn zum 1. Mai wesentlich verbesserten.
Es lebe unser Fünfjahrplan, durch den wir uns einen noch nie gekannten Wohlstand erarbeiten werden. 
Dr. G.

Der Text entstammt der Berliner Zeitung vom 1. Mai 1951 !


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